Das gläserne Spiel
Mit Hilfe der Technik entschlüsseln Computer-Analysen viele Rätsel des modernen Spitzenfußballs - sogar die Champions League wird erklärbar, und auch das Abschneiden der deutschen Teams.
Von Moritz Kielbassa
Die Düsseldorfer Datenbank
Das Fenster zum gläsernen Fußball öffnet sich im vornehmen Düsseldorf-Oberkassel. 110 Quadratmeter Büro, fünf Mitarbeiter, ein Hund und Balkonblick zur Rheinpromenade - so arbeitet die Firma Mastercoach, die Vereine und Verbände aus elf Ländern und drei Kontinenten mit digitaler Spielanalyse-Software versorgt. Auf dem Laptop von Christofer Clemens dreht sich Fernando Torres in einer 2-D-Animation filigran um die eigene Achse. Liverpools Stürmer trickst Arsenal-Verteidiger Philippe Senderos aus, dann jagt er den Ball zum 2:1 in den Torgiebel: mit 86,6 km/h, aus 15,2 Metern, Schusswinkel: 50,22 Grad.
m Viertelfinal-Rückspiel der Champions League legt der Londoner Mittelfeldstratege Fabregas 12,96 Kilometer Laufstrecke zurück, das höchste Pensum des Abends. Auch bei Außenverteidiger Clichy messen die Wärmesensor-gesteuerten Videokameras unter dem Tribünendach einen Weltklassewert: 548 Sprintmeter in Maximalgeschwindigkeit. Arsenals Kombinationsspiel ist verwirrend schnell. Trainer Arsène Wenger, ein Flachpass-Papst, liebt den One-Touch-Turbofußball mit möglichst nur einem Ballkontakt. Im Schnitt vergehen zwischen Ballannahme und Weitergabe nur 1,15 Sekunden, fast jeder zweite Pass wird direkt gespielt, trotzdem kommen mehr als 80 Prozent der Pässe an. In der Bundesliga sind solche Traumwerte utopisch. Hier liegen die flinkesten Teams bei mehr als zwei Kontakten und 2,2 Sekunden individueller Ballbesitzzeit.
Liverpool und Arsenal spielen am physischen und strategischen Limit. Die Startrainer Englands - Wenger, Ferguson, Benitez, Mourinho - sind seit Jahren die intellektuellen Vorreiter am Weltmarkt. "In der Endphase der Champions League trennt sich die Spreu vom Weizen", weiß Analytiker Clemens. Drei der aktuellen Halbfinalisten nutzen die Technologie, die von Mastercoach angeboten wird, nur der FC Barcelona gehört nicht zum Kundenkreis. Weil die Firma aber in zehn anderen spanischen Erstliga-Stadien Kameras postiert hat, ist Manchester United vor dem Halbfinale an diesem Mittwoch bestens im Bilde über Gegner Barcelona: Welcher Spieler wählt welche Laufwege? Wer passt wie oft wohin? Wie funktioniert der Spielaufbau? Etc.
Vorsprung durch Wissen
Rafael Benitez vom FC Liverpool ist der Laptop-Guru der internationalen Trainer-Hautvolee. Der wortkarge Tüftler richtet sich bei Taktik und Aufstellung streng nach den Leistungswahrscheinlichkeiten, die seine Festplatte über Gegner und eigenes Personal ausspuckt. "My secret weapon", meine Geheimwaffe, nennt Benitez diesen Wissensvorsprung durch digitale Decodierungen des Getümmels auf dem Rasen. Der Computer bringt Ordnung in das hektische Treiben von bis zu 3000 Handlungen mit Ball und rund 2000 Laufaktionen, die auf 7000 Quadratmetern Fläche in 90 Minuten stattfinden. Zwischen Profifußball und Wissenschaft entstehen daher immer dichtere Netzwerke, um die Geheimnisse des Spiels zu entschlüsseln - eines "komplexen und unglaublich schwer vorhersehbaren Spiels", wie Bundes-Ko-Trainer Hansi Flick findet.
40 Studenten der Sporthochschule Köln sichten für den DFB durch Internetrecherche Trends und Teams des Weltfußballs. Visuelle Unterstützung kommt aus Düsseldorf, von Mastercoach. Christofer Clemens ist ständiges Mitglied der Scoutingabteilung von Bundestrainer Joachim Löw, er schneidet mit Chefscout Urs Siegenthaler DVD-Sequenzen zusammen: "Wir wollen alles über unsere Gegner erfahren", sagt Flick - obwohl nicht jede Erkenntnis den Datenbeweis erfordert: "Dass bei Liverpool gegen Arsenal das Tempo signifikant höher ist als bei Bremen gegen Schalke, das sehe ich mit bloßem Auge", gibt Clemens zu.
Umkämpfter Markt
Der neue Markt für Computer-Bildanalysen ist lukrativ und umkämpft. In der Bundesliga ist Sports Analytics (Bildrecht-Exklusivvertrag mit der DFL) der Branchenführer für Videoauswertungen. Acht Vereine, darunter Bayern, Bremen, Schalke und Wolfsburg, beauftragen die Dortmunder Firma, die sich mehr auf klassisch-taktische Spielanalyse konzentriert als auf das Ermitteln physischer Leistungswerte. Zwischen 50.000 und 100.000 Euro lassen sich die Klubs den Analyseservice pro Saison kosten.
Mastercoach hat neben seinem Vorzeigeklienten DFB fünf Bundesligisten in der Kartei (Leverkusen, Dortmund, Stuttgart, HSV, Duisburg), dazu ein dichtes Vertriebsnetz in England, Spanien und Frankreich. Die Installation von jeweils acht Kameras und das Verlegen der Datenleitungen im Heimspielstadion des Auftraggebers kosten rund 30.000 Euro, die Datenaufbereitung 60.000 Euro pro Saison. Die Firma kann nur dort Kameras anbringen, wo sie Hausrecht hat.
Bei der Weitergabe von Messwerten ist "Vertraulichkeit das oberste Gebot", sagt Clemens. Nie würde etwa der Kunde Greuther Fürth sensible Daten über den Kunden und Aufstiegsrivalen SC Freiburg erfahren. Nicht-Kunden hingegen sind für die Analysefirma gläserne Fahndungsgebiete. In England tauschen Trainer ihre Daten sogar untereinander aus: "Dort stuft man den Nutzen von Wissenssynergien höher ein als die Gefahr der Geheimnispreisgabe", weiß Mastercoach-Geschäftsführer Jens Urlbauer.
Objektives Screening
Das Analysesystem Amisco Pro, das Urlbauer anbietet, arbeitet mit der "Tracking-Methode". Neben der Gesamtanordnung des Spiels aus der Vogelperspektive zeichnen Wärmesensoren jede kleinste Bewegung der 22 Akteure auf. Durch Hitzefelder entsteht ein physisches Komplett-Screening, und der Trainer erfährt in bunten Diagrammen und Spielfeldanimationen alles: über Ballbesitzzeiten, Höchst- und Durchschnittsgeschwindigkeiten eines Spielers, Verschiebe-Bewegungen im Mittelfeld, Passhärten, Zweikampf-Schwächen, Abstände in der Viererkette, Varianten beim Eckball und und und. Die Firma ist dabei nur der Fakten-Lieferant, die Deutung der Zahlenkolonnen ist Sache der Trainer: "We deliver facts, not opinions, wir interpretieren unser Wissen nicht", betont Urlbauer. Fußball besteht aus unendlich vielen Unwägbarkeiten und Einflussfaktoren, Forscher in aller Welt suchen nach rationalen Erklärungsmustern des Spiels - doch was wirklich über Sieg und Niederlage entscheidet, weiß niemand. Auch der Computer gebe nur eine "unterstützende" Orientierungshilfe, sagt Urlbauer.
Hochschul-Akzent vs. Stallgeruch
Spätestens seit der Bierhoff-Völler-Besserwisser-Debatte im vergangenen Herbst spricht niemand mehr gerne über Nähe zur Sportwissenschaft. Denn auch nach der Klinsmann-Revolution im deutschen Fußball gelten Trainer mit Hochschul-Attitüde, wie Hoffenheims Ralf Rangnick oder der in Schalke entlassene Mirko Slomka, als Professoren ohne Stallgeruch und Praxisprägung. Slomka feilte mit einem Wuppertaler Bewegungswissenschaftler am Laufstil der Spieler, für das Konditionstraining interessierte ihn die "maximale Sauerstoffaufnahme", und er nahm nach jedem Spiel einen USB-Stick mit der Videoaufzeichnung mit nach Hause. Doch Fußball ist mehr als Mathematik, Fußball ist Tradition und Emotion - und bis sich alles Neuentdeckte mit den alten Werten versöhnt, herrscht Fortschritts-Skepsis. "Mit Tracking-Analysen ist es genauso wie mit Mentaltrainern oder Laktattest. Die Akzeptanz dauert", sagt Urlbauer. "2010 wird die Frage aber nicht mehr heißen: Tracking, ja oder nein? Sondern höchstens noch: mit welcher Firma?"
Der durchleuchtete Spieler
Kein Trainerargument ist so glaubwürdig wie der optische Beweis an der Wand oder Zahlen schwarz auf weiß. Zweitligist Hoffenheim, der in Baden eine Art Fußball-Labor betreibt, führte als erster Klub in Deutschland Videoanalysen in der Halbzeitpause ein. Auch moderne Leistungsdiagnostik hat sich in der Bundesliga etabliert. Mit Pulsuhren, die von Satelliten geortet werden, kontrollieren viele Klubs die individuelle Trainingsbelastung. Bayer Leverkusen lässt seine Profis von einer Forschungsgruppe der Hochschule Köln ("Momentum") biochemisch durchleuchten. Volker Finke, der in Freiburg als erster Bundesliga-Trainer Videotechnik nutzte, war eng mit der städtischen Universität verzahnt, viele Kollegen machen es ihm heute nach. Geplantes und Erlerntes soll Talent und Intuition immer stärker ergänzen und die Zufälle auf dem Platz minimieren.
Bundestrainer Löw fordert zur Umsetzung dessen "intelligente" Fußballer. Arsenal-Coach Wenger lässt vor Neuverpflichtungen ausführliche Spielerportfolios erstellen und ermittelt bei manchen Kandidaten - was in Deutschland noch undenkbar ist - durch Intelligenz-Tests die kognitiven Fähigkeiten. Auch Mastercoach bietet den Managern seiner Klubs DVD-Booklets über Spieler an - als Einkaufshilfe oder zur Bewertung des eigenen Personals: Fordert ein Spieler mehr Gehalt, hat er schlechte Papiere, wenn ihm der Manager via Datenbank eine sinkende Leistungskurve nachweisen kann. In der Kartei von Mastercoach sind 5000 Profifußballer Europas erfasst.
Mit Hilfe der Technik entschlüsseln Computer-Analysen viele Rätsel des modernen Spitzenfußballs - sogar die Champions League wird erklärbar, und auch das Abschneiden der deutschen Teams.
Von Moritz Kielbassa
Die Düsseldorfer Datenbank
Das Fenster zum gläsernen Fußball öffnet sich im vornehmen Düsseldorf-Oberkassel. 110 Quadratmeter Büro, fünf Mitarbeiter, ein Hund und Balkonblick zur Rheinpromenade - so arbeitet die Firma Mastercoach, die Vereine und Verbände aus elf Ländern und drei Kontinenten mit digitaler Spielanalyse-Software versorgt. Auf dem Laptop von Christofer Clemens dreht sich Fernando Torres in einer 2-D-Animation filigran um die eigene Achse. Liverpools Stürmer trickst Arsenal-Verteidiger Philippe Senderos aus, dann jagt er den Ball zum 2:1 in den Torgiebel: mit 86,6 km/h, aus 15,2 Metern, Schusswinkel: 50,22 Grad.
m Viertelfinal-Rückspiel der Champions League legt der Londoner Mittelfeldstratege Fabregas 12,96 Kilometer Laufstrecke zurück, das höchste Pensum des Abends. Auch bei Außenverteidiger Clichy messen die Wärmesensor-gesteuerten Videokameras unter dem Tribünendach einen Weltklassewert: 548 Sprintmeter in Maximalgeschwindigkeit. Arsenals Kombinationsspiel ist verwirrend schnell. Trainer Arsène Wenger, ein Flachpass-Papst, liebt den One-Touch-Turbofußball mit möglichst nur einem Ballkontakt. Im Schnitt vergehen zwischen Ballannahme und Weitergabe nur 1,15 Sekunden, fast jeder zweite Pass wird direkt gespielt, trotzdem kommen mehr als 80 Prozent der Pässe an. In der Bundesliga sind solche Traumwerte utopisch. Hier liegen die flinkesten Teams bei mehr als zwei Kontakten und 2,2 Sekunden individueller Ballbesitzzeit.
Liverpool und Arsenal spielen am physischen und strategischen Limit. Die Startrainer Englands - Wenger, Ferguson, Benitez, Mourinho - sind seit Jahren die intellektuellen Vorreiter am Weltmarkt. "In der Endphase der Champions League trennt sich die Spreu vom Weizen", weiß Analytiker Clemens. Drei der aktuellen Halbfinalisten nutzen die Technologie, die von Mastercoach angeboten wird, nur der FC Barcelona gehört nicht zum Kundenkreis. Weil die Firma aber in zehn anderen spanischen Erstliga-Stadien Kameras postiert hat, ist Manchester United vor dem Halbfinale an diesem Mittwoch bestens im Bilde über Gegner Barcelona: Welcher Spieler wählt welche Laufwege? Wer passt wie oft wohin? Wie funktioniert der Spielaufbau? Etc.
Vorsprung durch Wissen
Rafael Benitez vom FC Liverpool ist der Laptop-Guru der internationalen Trainer-Hautvolee. Der wortkarge Tüftler richtet sich bei Taktik und Aufstellung streng nach den Leistungswahrscheinlichkeiten, die seine Festplatte über Gegner und eigenes Personal ausspuckt. "My secret weapon", meine Geheimwaffe, nennt Benitez diesen Wissensvorsprung durch digitale Decodierungen des Getümmels auf dem Rasen. Der Computer bringt Ordnung in das hektische Treiben von bis zu 3000 Handlungen mit Ball und rund 2000 Laufaktionen, die auf 7000 Quadratmetern Fläche in 90 Minuten stattfinden. Zwischen Profifußball und Wissenschaft entstehen daher immer dichtere Netzwerke, um die Geheimnisse des Spiels zu entschlüsseln - eines "komplexen und unglaublich schwer vorhersehbaren Spiels", wie Bundes-Ko-Trainer Hansi Flick findet.
40 Studenten der Sporthochschule Köln sichten für den DFB durch Internetrecherche Trends und Teams des Weltfußballs. Visuelle Unterstützung kommt aus Düsseldorf, von Mastercoach. Christofer Clemens ist ständiges Mitglied der Scoutingabteilung von Bundestrainer Joachim Löw, er schneidet mit Chefscout Urs Siegenthaler DVD-Sequenzen zusammen: "Wir wollen alles über unsere Gegner erfahren", sagt Flick - obwohl nicht jede Erkenntnis den Datenbeweis erfordert: "Dass bei Liverpool gegen Arsenal das Tempo signifikant höher ist als bei Bremen gegen Schalke, das sehe ich mit bloßem Auge", gibt Clemens zu.
Umkämpfter Markt
Der neue Markt für Computer-Bildanalysen ist lukrativ und umkämpft. In der Bundesliga ist Sports Analytics (Bildrecht-Exklusivvertrag mit der DFL) der Branchenführer für Videoauswertungen. Acht Vereine, darunter Bayern, Bremen, Schalke und Wolfsburg, beauftragen die Dortmunder Firma, die sich mehr auf klassisch-taktische Spielanalyse konzentriert als auf das Ermitteln physischer Leistungswerte. Zwischen 50.000 und 100.000 Euro lassen sich die Klubs den Analyseservice pro Saison kosten.
Mastercoach hat neben seinem Vorzeigeklienten DFB fünf Bundesligisten in der Kartei (Leverkusen, Dortmund, Stuttgart, HSV, Duisburg), dazu ein dichtes Vertriebsnetz in England, Spanien und Frankreich. Die Installation von jeweils acht Kameras und das Verlegen der Datenleitungen im Heimspielstadion des Auftraggebers kosten rund 30.000 Euro, die Datenaufbereitung 60.000 Euro pro Saison. Die Firma kann nur dort Kameras anbringen, wo sie Hausrecht hat.
Bei der Weitergabe von Messwerten ist "Vertraulichkeit das oberste Gebot", sagt Clemens. Nie würde etwa der Kunde Greuther Fürth sensible Daten über den Kunden und Aufstiegsrivalen SC Freiburg erfahren. Nicht-Kunden hingegen sind für die Analysefirma gläserne Fahndungsgebiete. In England tauschen Trainer ihre Daten sogar untereinander aus: "Dort stuft man den Nutzen von Wissenssynergien höher ein als die Gefahr der Geheimnispreisgabe", weiß Mastercoach-Geschäftsführer Jens Urlbauer.
Objektives Screening
Das Analysesystem Amisco Pro, das Urlbauer anbietet, arbeitet mit der "Tracking-Methode". Neben der Gesamtanordnung des Spiels aus der Vogelperspektive zeichnen Wärmesensoren jede kleinste Bewegung der 22 Akteure auf. Durch Hitzefelder entsteht ein physisches Komplett-Screening, und der Trainer erfährt in bunten Diagrammen und Spielfeldanimationen alles: über Ballbesitzzeiten, Höchst- und Durchschnittsgeschwindigkeiten eines Spielers, Verschiebe-Bewegungen im Mittelfeld, Passhärten, Zweikampf-Schwächen, Abstände in der Viererkette, Varianten beim Eckball und und und. Die Firma ist dabei nur der Fakten-Lieferant, die Deutung der Zahlenkolonnen ist Sache der Trainer: "We deliver facts, not opinions, wir interpretieren unser Wissen nicht", betont Urlbauer. Fußball besteht aus unendlich vielen Unwägbarkeiten und Einflussfaktoren, Forscher in aller Welt suchen nach rationalen Erklärungsmustern des Spiels - doch was wirklich über Sieg und Niederlage entscheidet, weiß niemand. Auch der Computer gebe nur eine "unterstützende" Orientierungshilfe, sagt Urlbauer.
Hochschul-Akzent vs. Stallgeruch
Spätestens seit der Bierhoff-Völler-Besserwisser-Debatte im vergangenen Herbst spricht niemand mehr gerne über Nähe zur Sportwissenschaft. Denn auch nach der Klinsmann-Revolution im deutschen Fußball gelten Trainer mit Hochschul-Attitüde, wie Hoffenheims Ralf Rangnick oder der in Schalke entlassene Mirko Slomka, als Professoren ohne Stallgeruch und Praxisprägung. Slomka feilte mit einem Wuppertaler Bewegungswissenschaftler am Laufstil der Spieler, für das Konditionstraining interessierte ihn die "maximale Sauerstoffaufnahme", und er nahm nach jedem Spiel einen USB-Stick mit der Videoaufzeichnung mit nach Hause. Doch Fußball ist mehr als Mathematik, Fußball ist Tradition und Emotion - und bis sich alles Neuentdeckte mit den alten Werten versöhnt, herrscht Fortschritts-Skepsis. "Mit Tracking-Analysen ist es genauso wie mit Mentaltrainern oder Laktattest. Die Akzeptanz dauert", sagt Urlbauer. "2010 wird die Frage aber nicht mehr heißen: Tracking, ja oder nein? Sondern höchstens noch: mit welcher Firma?"
Der durchleuchtete Spieler
Kein Trainerargument ist so glaubwürdig wie der optische Beweis an der Wand oder Zahlen schwarz auf weiß. Zweitligist Hoffenheim, der in Baden eine Art Fußball-Labor betreibt, führte als erster Klub in Deutschland Videoanalysen in der Halbzeitpause ein. Auch moderne Leistungsdiagnostik hat sich in der Bundesliga etabliert. Mit Pulsuhren, die von Satelliten geortet werden, kontrollieren viele Klubs die individuelle Trainingsbelastung. Bayer Leverkusen lässt seine Profis von einer Forschungsgruppe der Hochschule Köln ("Momentum") biochemisch durchleuchten. Volker Finke, der in Freiburg als erster Bundesliga-Trainer Videotechnik nutzte, war eng mit der städtischen Universität verzahnt, viele Kollegen machen es ihm heute nach. Geplantes und Erlerntes soll Talent und Intuition immer stärker ergänzen und die Zufälle auf dem Platz minimieren.
Bundestrainer Löw fordert zur Umsetzung dessen "intelligente" Fußballer. Arsenal-Coach Wenger lässt vor Neuverpflichtungen ausführliche Spielerportfolios erstellen und ermittelt bei manchen Kandidaten - was in Deutschland noch undenkbar ist - durch Intelligenz-Tests die kognitiven Fähigkeiten. Auch Mastercoach bietet den Managern seiner Klubs DVD-Booklets über Spieler an - als Einkaufshilfe oder zur Bewertung des eigenen Personals: Fordert ein Spieler mehr Gehalt, hat er schlechte Papiere, wenn ihm der Manager via Datenbank eine sinkende Leistungskurve nachweisen kann. In der Kartei von Mastercoach sind 5000 Profifußballer Europas erfasst.