Die Bundesligasaison war anstrengend genug, die anstehende Weltmeisterschaft verspricht dagegen Erholung. Große Emotionen bleiben denen überlassen, die den Rest des Jahres mit Fußball nichts am Hut haben.
Überall glasige Augen. Gerade war Deutschland gegen Italien ausgeschieden und mitten in den Hochglanzsommer 2006 legte sich eine, wenn auch kurzweilige, allgemeine Tristesse. »Es ist so schrecklich«, war von Menschen zu hören, die in all den Jahren vorher für Fußball nur die altbekannten Horrorsätze übrig hatten: »Es ist doch nur ein Spiel« oder »Du machst dein Wochenende von einem Fußballspiel abhängig?«
Ein Bekannter ging sogar am Tag nach dem verlorenen Halbfinale nicht zur Arbeit, weil er sich so mies fühlte. Einer wollte aus Protest erst einmal seine Stammpizzeria meiden, ein anderer beschloss kurzerhand, sich in die Besinnungslosigkeit zu trinken. Der Satz, der aber am meisten im Gedächtnis haften blieb, war: »Jetzt weiß ich, wie du dich fühlst, wenn du mit deinem Verein leidest.«
Eher nicht, denn jahrelanges Leiden kann man nicht durch drei Wochen Mitfiebern nachempfinden. Denn bei der Atmosphäre einer WM erreicht die Herzschlagfrequenz dann doch nicht unbedingt die gleichen Ausmaße wie bei Spielen des geliebten Bundesligaklubs.
Irgendwie weiß man, dass ein Turnier vorbei gehen kann – ein schöner Zeitvertreib, aber nicht die richtige Welt. Wie eine Urlaubsbekanntschaft, der man kurz vor der Abreise schwört, dass man sich bald schon wieder sieht. Natürlich gibt es Fußballfans, die der Nationalmannschaft zu Qualifikationsspielen nachreisen. Aber es soll ja auch Menschen geben, die irgendwann bei der Urlaubsbekantschaft aufkreuzen.
Für alle anderen beginnt nach dem Turnier wieder das normale Leben, das den Namen Bundesliga trägt. Herzklappern jede Woche, Ärger über die Stümper im Mittelfeld, die dort schon seit Jahren spielen. Oder über die Bedienung am Bierstand, die schon seit drei Spielzeiten nicht vernünftig zapfen kann. Eine Saison kann dermaßen kraftraubend sein, dass ein Turnier zum Urlaub wird.
Wahrscheinlich ist das nur subjektives Empfinden, aber irgendwie verhält es sich so: Wenn die Fußball-Leidenschaft ein Zaubertrank wäre wie bei Asterix, dann fühlt man sich als Vereinsfan wohl wie Obelix und ist schon als Kind in den Topf gefallen. Das Nachgießen bei Turnieren ist wohl dosierter, man freut sich und feiert mit, aber Tränen (Trauer oder Freude) vergießt man eher für den Lieblingsklub.
Fußballspiele bei einer WM kann man entspannter schauen. Irgendwie ist es auch beruhigend, dass um einen herum Teilzeitfußballfans johlen und gröhlen, manchmal sogar weinen beim Ausscheiden der Deutschen. Man selbst geht auch mit, ist enttäuscht beim Ausscheiden, aber die großen Emotionen und Gefühle spart man sich auf.
Denn man weiß: Ab August passiert es wieder: Verpasste Siegchancen, Stümper im Mittelfeld, schlecht ausgebildete Aushilfen an den Bierständen. Aber bis dahin ist so eine WM eine schöne Abwechslung.
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