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Teil 1
Teil 1
Der Artikel ist aus der SZ.Spritzensport Fußball
Maradona hat gedopt, Juventus Turin auch, selbst die Helden von Bern injizierten sich etwas und nannten es Traubenzucker. Trotzdem gilt Fußball bis heute als sauberer Sport. Höchste Zeit, endlich aufzuwachen.
Grandios war die Abschiedsgala Zinédine Zidanes. Ohne den Kopfstoß im Endspiel gegen den Italiener Materazzi hätte er Frankreich wohl zum zweiten WM-Titel nach 1998 geführt und sich selbst auf die höchste Stufe, neben Pelé und Maradona. Aber auch so war die Energieleistung des 34-Jährigen bei der WM 2006 sensationell.
Obwohl er in den Gruppenspielen noch wie ein Seniorenkicker agiert hatte, gegen Südkorea sogar entkräftet vom Rasen musste und angeblich voller Frust eine Kabinentür im Leipziger Stadion eintrat. Aber Frankreich blieb im Rennen, und plötzlich drehte Zidane auf. So wie Ronaldo, sein moppeliger Kollege von Real Madrid, der trotz jäh ansteigender Formkurve mit Brasilien im Viertelfinale scheiterte – an den Franzosen um den furiosen Zidane.
Heute werden solche Leistungssprünge im Kraft- und Ausdauerbereich misstrauisch beäugt, überall. Nur nicht in der vornehmsten aller Sportarten: König Fußball verbittet sich jeden Verdacht. Hier gilt, was schon der Doyen der berüchtigten deutschen Sportmedizin, der Freiburger Olympia-Arzt Joseph Keul selig, formulierte: Doping bringt nichts. Ja, es stört die koordinativen Fähigkeiten, die so ein komplexer Sport dem Spieler abverlangt. Großes Indianerehrenwort: Fußballer dopen nicht. Das Totschlagargument von vorgestern gilt noch heute. Erst im Mai beteuerte DFB-Internist Tim Meyer, im Fußball seien »die komplexen leistungsbestimmenden Faktoren der beste Schutz« vorm Pharmabetrug. Und fügte das zweite Mantra der Kickermedizin an: »Es gibt keine Erkenntnisse, dass im Fußball Doping in systematischer Weise betrieben wird.«
Eine kühne Behauptung. Im Fußball gilt wie überall, dass Ärzte und Aktive, die Betrug treiben, diesen öffentlich immer abstreiten werden. Umgekehrt werden Ärzte, die gegen Doping sind, nie ins Zentrum von Betrugspraktiken vorstoßen. Die einen werden immer lügen, die anderen niemals drin sein in der Materie. Dabei scheut just der schwerreiche Fußball, der nie um staatliche Fördermittel bangen musste, unabhängige Kontrollen. Trainingstests gibt es praktisch nicht: 87 in der Saison 2006/07, für erste und zweite Bundesliga und die Regionalligen. Dass sich selbst da noch Sünder finden, spricht Bände.
Gerade im Fußball steigt die athletische Anforderung ständig und rasant. Eine dänische Studie zeigte Ende der Neunzigerjahre, dass Kicker früher sieben, acht Prozent der 90-minütigen Spielzeit volles Tempo gingen – heute sind es gut 15 Prozent. Wurden einst fünf Kilometer pro Spiel zurückgelegt, sind es heute bis zu zwölf. Zugleich nimmt die Zahl der Pflichtspiele zu, die Erholungszeit wird kürzer. Schon 1999 klagte Frankreichs Weltmeister Emmanuel Petit: »Es kommt so weit, dass wir alle Doping brauchen. Einige tun es schon jetzt.«
Viele sagen das. Und bekommen damit kein Problem: Sie wissen, sie haben nichts zu befürchten, solange sie keine Namen nennen. Wer will schon ein Judas sein? Diesen stillen Deal kennt man auch aus dem Radsport. Die Verbände bleiben untätig – und können triumphieren: Es hat ja wieder keiner Ross und Reiter genannt. Doppelpässe im Schweigekartell.
Es steht außer Frage, dass Anabolika in der Regeneration den Muskelaufbau fördern, Testosteron die Erholungsphase verkürzt und das Blutdopingmittel Epo die Ausdauer im Spiel stark verbessert. Testosterone oder Epo können im Training sorglos konsumiert werden, sie sind, wenn überhaupt, nur 48 Stunden nachweisbar, wirken aber noch tagelang intensiv. Auch an Spieltagen, an denen es kaum Blutkontrollen gibt. So wenig, wie bei den 228 Tests während der WM 2006 oder den 256 bei der WM 2002. Es ist also Unfug, die WM als sauber zu bezeichnen: Ein überhöhter Hämatokritwert (ein wichtiges Indiz für Blutmanipulationen) fällt nicht auf, wenn ihn niemand misst.
Es wurde immer gedopt, was das Zeug hält, heute läuft es weitflächig ab. Das Gerede vom komplexen Spielsport ist ein Bauerntrick, den einer wie Otto Rehhagel aus dem Fußgelenk beherrscht: »Wer mit links nicht schießen kann, trifft den Ball auch nicht, wenn er 100 Tabletten schluckt.« Klar, Pharmazie fördert weder Balltalent noch Spielverständnis. Aber Epo hilft jedem Kicker, dem nach einer Stunde die Beine schwer werden. Der formidabelste Techniker taugt nichts, wenn ihm die Zehntelsekunde fehlt, die den Ballbesitz ermöglicht, der halbe Schritt, der ihn in Schussposition bringt, die Zentimeter, um dem Gegner das Spielgerät abzujagen. Frag nach bei Kraftpaket und Dopingsünder Maradona, bei Zidane oder im Fußballarchiv. Fußball und Doping, diese Verbindung reicht bis zum Berner Wunder zurück.
Bis heute ist ungeklärt, ob Sepp Herbergers Recken den 0:2-Rückstand im WM- Finale 1954 gegen spielerisch dominante Ungarn nur mit Traubenzucker im Blut umbogen oder was sonst in den Spritzen in der Weltmeister-Kabine war. Ungarns Kapitän Ferenc Puskas vermutete Doping. Franz Loogen, damals DFB-Teamarzt, schwört, er habe nur Placebos gesetzt. Sporthistoriker haben indes massive Argumente dafür gesammelt, dass die Wunder-Elf mit Pervitin hantiert hat. Pervitin ist ein stimulierender Stoff, der schon 1954 laut einer Studie des Freiburger Doktoranden Oskar Wegener als »stärkste und anhaltendste« Droge galt: Das Mittel vertreibe »jedes Müdigkeitsgefühl und durch seine euphorische Komponente das Startfieber, da hier der Drang zum Sieg jedes Bedenken überwiegt«. Bei Athleten steige die Leistungsfähigkeit bis zu 25 Prozent.
Tatsächlich wurde Pervitin im Krieg massenhaft benutzt, um deutschen Soldaten die Angst zu nehmen und ihre Aggressivität zu steigern. Unter den Medizinstudenten in Kriegszeiten, zu denen auch Loogen zählte, galt es als wunderwirkende Fliegerdroge; es wurde über Traubenzucker verabreicht. Und schau an: Herberger, so gestand Loogen dem Sporthistoriker Erik Eggers, habe vor der WM »den Doping-Einsatz« gefordert. Herberger war in Kriegszeiten mit der Soldatenmannschaft der Fliegergruppe »Rote Jäger« verbandelt, wo er auch Fritz Walter und weitere Nationalspieler unterbrachte. Dies ist für den Dopinghistoriker Giselher Spitzer die Nahtstelle, an der das Wissen um die Fliegerdroge in den Fußball kam. Nachweislich wurde in Bern viel gespritzt; warum Injektionen riskiert wurden, wenn es doch nur um Glukose ging, kann bis heute niemand erklären. Obwohl die Frage dramatisch ist: Viele Berner Helden erkrankten an Gelbsucht, einige starben sogar an Leberzirrhose.
Übergehen wir die Dopinghistorie der ostdeutschen Klubs; dass vor deren Europacup-Spielen Amphetamine eingesetzt wurden, ist durch Stasi-Akten verbürgt. Dieselben Stoffe wie im Westen, wo das Aufputschmittel Captagon in den Siebziger- und Achtzigerjahren Dauerbrenner unter Profis war. Dies berichtete der frühere Dortmunder Stürmer Peter Geyer (»Ich nahm zwei Tabletten, andere sieben oder acht«), 13 Jahre bevor es der Trainer Peter Neururer (»bis zu 50 Prozent nahmen es«) in diesem Jahr wieder aufgriff.
Doch solche Zeugen werden schnell mundtot gemacht, nicht mal die Branchenhelden konnten sich Gehör verschaffen: Franz Beckenbauer berichtete 1977 im Stern über seine Eigenblut-Praktiken, die unbedenklich seien, verglichen mit dem, was sonst ablaufe: »Medizinisch ist heute in der Bundesliga praktisch noch alles erlaubt, was den Spieler zu Höchst- und Dauerleistung treibt. Es wird gespritzt und geschluckt?… Natürlich wäre es unsinnig, vor jedem Spiel zu dopen. Der folgende Leistungsabfall ist viel zu groß. Aber was machen Trainer und Manager vor entscheidenden Spielen, etwa im Europacup, wo es um Millionen geht – wenn man glaubt, dass die anderen nicht nur Vitaminpillen schlucken? … Es ist längst an der Zeit, dass sich der Internationale Fußballbund nicht nur bei der Weltmeisterschaft um das Problem Doping kümmert?.«